Abenteuer Weltbild

Theologisch, geozentrisch, heliozentrisch, relativistisch, quantenmechanisch… Weltbilder kommen und gehen. Sie sind die Schnittstelle zwischen Glauben und Wissen.

 

Weltbilder sind Modelle, wie wir uns die Welt als Ganze vorstellen – und daher geht es eigentlich darum, wie wir uns das Unvorstellbare vorzustellen versuchen. Schon von daher sollte klar sein, dass es kein naturwissenschaftliches Weltbild geben kann. Naturwissenschaft kann bis an die Grenzen der sichtbaren oder mit Instrumenten sichtbar zu machenden Welt gehen – weiter nicht. Erfahrungsgemäß ist auch im Kleinen das Ganze immer mehr als die Summe seiner Teile, das gilt wohl auch für das Ganze der Welt, das damit unvorstellbar ist.

Das Universum sollte entweder endlich oder unendlich sein. Vorstellen können wir uns aber weder ein endliches, noch ein unendliches Universum. Ein endliches Universum müsste irgendwo aufhören – und was dann? Ein unendliches geht unendlich weiter – und übersteigt damit auch unsere Vorstellungskraft.

Welt ist mehr…

Naturwissenschaft beschäftigt sich mit dem für alle Menschen gleichermaßen Gültigen. Alles Individuelle, Einmalige, Kreative ist der Naturwissenschaft nicht zugänglich. Atome sind im gesamten Universum gleich, alles Lebendige ist jedoch einmalig.

Das physische Universum ist daher nicht alles. Selbst wenn wir davon ausgehen, dass alles aus Materiellem entstanden ist – Gedanken und Gefühle sind doch etwas anderes als Steine und Bäume. „Welt“ ist damit alles und noch weit mehr. Daher hielt der österreichische Nobelpreisträger für Physik, Erwin Schrödinger, in einem Vortrag beim Wort „Weltlinie“ inne, und meinte nach einer Pause: „Ich sag‘ so ungern ‚Weltlinie‘, weil zur Welt doch so viel mehr gehört als Teilchen in Raum und Zeit.“ Dieses „Mehr“ ist es eigentlich, das nicht nur die Forschung aufrechterhält, sondern auch die Berechtigung für metaphysische und theologische Überlegungen ist.

„Weltmaschine“, „Gottesteilchen“ und „Dunkle Energie“

Am Genfer Forschungszentrums CERN wurde ein gigantischer Teilchenbeschleuniger LHC (die „Weltmaschine“) gebaut, um nach dem „Gottesteilchen“, dem Higgs-Boson forschen zu können. Die Bezeichnung „Gottesteilchen“ ist natürlich Unsinn, ein eher primitiver Versuch von Journalisten – oder PR-gewandten Physikern – das Interesse der Bevölkerung wachzuhalten und die horrenden Summen, die da verbraten werden, zu rechtfertigen. Ohne dieses Higgs-Teilchen ist allerdings das physikalische „Weltbild“ ziemlich hohl, weil es bisher die Materie im Weltall nicht erklären kann. Je länger es dauert, dieses ominöse „Teilchen“ zu finden, desto nervöser werden die Forscher…

Sie ärgern sich die nämlich schon seit Jahrzehnten mit diesem Higgs-Teilchen herum. Es wäre der letzte fehlende Baustein im Standardmodell der Physik. Dieses sollte am besten erklären können, warum Elementarteilchen wie Elektronen und Quarks überhaupt eine Masse besitzen und warum sie unterschiedliche Massen haben. Und solange wir das, was Materie sozusagen ausmacht, nämlich die Masse, nicht erklären können, hängt doch das materialistische „Weltbild“ völlig in der Luft.

Das Universum ist nicht die Welt

Das ändert aber gar nichts daran, dass die Physiker mit oder ohne Higgs-Teilchen – selbst das Wort „Teilchen“ ist eine völlig unangemessene Vorstellung, die an der Wirklichkeit vorbeigeht – bestenfalls das physikalische Universum erklären können, aber nicht die „Welt“ im Sinne Schrödingers. Aber ohne dieses „Teilchen“ können wir nicht einmal die Masse der Materie erklären, auf der unser gesamtes Weltbild aufbaut.

Einer der diesjährige Nobelpreisträger für Physik 2011, Brian Schmidt, beschreibt das Dilemma: „Heute besteht das Universum aus ungefähr 4,5 Prozent baryonischer Materie, also uns bekannten Atomen, 23 Prozent Dunkler Materie und der große Rest ist Dunkle Energie.“ Das heißt im Klartext: 95,5 Prozent des physikalischen Universums können wir nicht erklären.

Wo sich Physik- und Bibelauslegung annähern

Und überhaupt: „Gottesteilchen“, „Weltmaschine“, „Dunkle Materie“, „Dunkle Energie“ – außerdem geht es hier um einen Mikro- und Makrokosmos, in dem Begriffe wie „Teilchen“, „Materie“, „Kausalität“ usw. keinen Sinn mehr ergeben – auch die Physik ist voll von dunklen Begriffen. Damit ist sie nicht unbedingt sehr viel klarer als die Bibel und andere religiöse Schriften. Selbst die 4,5 Prozent der bekannten Materie können wir zwar exakt mathematisch beschreiben, was diese Gleichungen aber bedeuten, geht über die rationale Logik hinaus. Über die Deutung der Quantenmechanik wird gerätselt, wer sie verstanden hat, der hat sie nicht verstanden (Richard Feynman). Das ist nicht so viel Unterschied zur Bibelauslegung, wie uns gläubige Materialisten einreden wollen.

„Weltbild“ ist jedenfalls ein Abenteuer, in dem wir an unsere rationalen Grenzen gehen, bis zum Horizont schauen und offen bleiben müssen für das dahinter Liegende. Denn dass die Welt dort nicht aufhört, ist irgendwie „naheliegend“.

 

Quellen:

Nobelpreisträger: „Dunkle Energie entsteht immer schneller“, Der Tagesspiegel 6.12.2011

Herbert Pietschmann: Erwin Schrödinger und die Zukunft der Naturwissenschaften, Picus Verlag 1999

 

Foto: RH

Published on Newsgrape on 2011-12-16 08:30:23

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Robert Harsieber

 

Philosoph - Journalist - Verleger

 

„Die Art,

wie wir die Welt sehen,

erleben und in ihr agieren,

hängt ab von einem ‚Denkrahmen‘.

Er zeigt den für uns wichtig gewordenen, gewohnten Ausschnitt der Wirklichkeit.

Er schließt ein

und er grenzt aus.

In diesen Denkrahmen

sind wir hineingewachsen.

Wir können aber auch

über ihn hinauswachsen.“